70 Hektaren Wald werden gelichtet, damit mehr Tiere und Pflanzen leben können.
In der Nordwestschweiz werden in den kommenden fünf Jahren 14 Waldteile
von insgesamt 70 Hektaren von einem Hoch- in einen Mittelwald
verwandelt. Das heisst: Viele stolze Bäume müssen weg. Was auf den
ersten Blick schmerzt, kommt selten gewordenen Tieren und Pflanzen
zugute.
Vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert waren die Wälder
Mitteleuropas mehr oder weniger lockere Haine: Grosse Eichen und
vereinzelte Buchen standen über Linden, Ahornen, Ulmen, Eschen und
buschartigen Hagebuchen. Am Boden wühlten Schweine unter den Blättern
nach Eicheln. Die Menschen brauchten vor allem das rasch nachwachsende
Unterholz als Brennstoff.
Doch dann wurde aus Südamerika die Kartoffel importiert. Die Schweine
konnten im Stall bleiben, sie wurden neu mit Kartoffelabfällen
gefüttert. Auch das Brennholz wurde allmählich abgelöst durch Kohle und
Erdöl, derweil das Bauholz an Bedeutung gewann. Die Wälder begannen in
die Höhe zu wachsen; sie verdichteten und verdunkelten sich.
Zurück ins Mittelalter. Nun will man in der Nordwestschweiz diesen
Prozess auf 70 Hektaren, verteilt auf 17 Waldteile, wieder umkehren -
das Baselbiet stellt hierbei mit 40 Hektaren die grösste Fläche. Man
will sozusagen zurück ins Mittelalter. Denn damals waren zumindest die
Wälder heller. Der Vorteil: Es lebten mehr - und mehr verschiedene -
Tiere und Pflanzen darin. «Wir wollen der Natur die Möglichkeit geben,
dass wärmeliebende Arten wieder zurückkommen können», fasst
Kreisforstingenieur Christian Gilgen den Zweck des «Förderprogramms
Mittelwald» zusammen. Gehofft wird unter anderem auf die Rückkehr von
Hase, Mittelspecht, Waldschnepfe, Zauneidechse, Schlingnatter,
Hirschkäfer sowie seltenen Pflanzenarten wie den Speierling.
Eine Vorher-Nachher-Schau bot Gilgen gestern gemeinsam mit dem
Revierförster Christian Becker im Therwiler Waldstück Froloo. Die
Medienvertreter wurden in dichten Hochwald hineingeführt. Becker zeigte
auf den Boden: Hier gedeihen nur noch Efeu und Farn. Den meisten anderen
Pflanzen ist es zu dunkel. Auch Bäumchen müssen hier jung sterben, eine
neue Eichengeneration kann so nicht nachwachsen. Wenige Schritte auf der
anderen Seite des Waldweges sieht es bereits ganz anders aus. Hier
wurden einige Bäume mit dichten Kronen gefällt, die mittelgrossen wurden
stehen gelassen. Es ist merklich heller. Asthaufen sollen Waldbesucher
vom Eindringen ins sensible Gebiet abhalten. Nun sollen hier Sträucher
und junge Bäume nachwachsen.
Becker gibt zu: Der Gedanke, mächtige Bäume zu fällen, machte ihm
zunächst zu schaffen. Möglichst hohe Bäume heranzuzüchten, das war
bislang sein grösster Stolz. Doch dann dachte er um, liess sich
überzeugen.
Stiftung zahlt halbe Million Franken.
Die Förster hoffen, dass bald auch Wanderer, Jagdgesellschaften und
weitere Waldgäste sich vom Nutzen dieses Projekts überzeugen lassen.
Gerade Spaziergänger würden häufig reklamieren, wenn sie «Löcher» im
Wald entdeckten. Solche «Baustellen» gehörten zum bewirtschafteten Wald,
klärte Gilgen auf. Manche seien Folgen von Stürmen, manche dienten als
Schutz vor Naturgefahren - und die neusten gingen aufs Konto des
Mittelwald-Projekts. «Da die Förster die Natur arbeiten lassen, ist die
Bauzeit im Wald etwas länger als auf einer gewöhnlichen Baustelle»,
erklärt Gilgen.
Die Initiantin und Förderin des Projekts, die Hermann und Elisabeth
Walder-Bachmann Stiftung, lässt sich diese Mittelwälder eine halbe
Million Franken kosten. Sie deckt damit die Kosten für den Holzschlag
und entschädigt die Waldbesitzer für die damit verbundenen
Ertragsausfälle in den nächsten 25 Jahren. Den Hochwäldern muss trotzdem
niemand nachtrauern: Gesamthaft gesehen werden nur zwei Promille des 20
000 Hektaren umfassenden Baselbieter Waldbestands gelichtet.
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