Die erste Information von Koni Becker am Tag vor dem Lauf tönt noch nicht sonderlich beunruhigend: 15cm Schnee im Gelände, der Lauf kann durchgeführt werden!
Einige Stunden später heisst es, Karte, Posten und Zangen fassen und ab
ins Gelände. Fränzi und ich wollen zusammen 29 Posten im höchstgelegenen
Teil der Karte setzen. Und siehe da, plötzlich stehen wir bis zu den
Knien im Tiefschnee. Wir finden’s lustig, stapfen durch die sanfte,
unberührte Schneedecke und setzen die ersten, einfacheren Posten. Doch
bald schon wird’s schwierig: wo ist nun genau diese Wegkreuzung? Von den
Vormarkierungen fehlt jede Spur. Langsam beginnen wir uns doch zu
fragen, ob dieser Lauf so durchführbar ist und rufen Christoph mit dem
Handy an. Er kämpft im Felsenheim mit denselben Problemen und sichert
sich bei Koni ab – zuerst per Telefon, dann nach einem Augenschein von
Koni im Gelände mündlich. Die Sicherheit der Läufer im griffigen Schnee
sei nicht gefährdet. Also weiter geht’s. Wir merken schnell, dass wir im
Tiefschnee viel langsamer sind als erwartet und zu zweit wohl noch die
halbe Nacht brauchen würden für alle Posten. Also teilen wir uns auf und
das Abenteuer nimmt seinen Lauf.
Schon der zweite Posten stellt mich vor unlösbare Schwierigkeiten: ich sehe weder die Schneise, noch den Grenzstein, der an der Schneise stehen sollte und schon gar keine Vormarkierung. Ich versuche mehrmals von mehreren Seiten, den ominösen Grenzstein zu finden – keine Chance! Also weiter… Die nächsten Posten geben mir das Vertrauen in meine technischen Fähigkeiten etwas zurück, doch dann kommt eine Dickichtecke, schon immer mein meistgehasstes Objekt! Tatsächlich finde ich ein Dickicht, doch von einer Ecke kann keine Rede sein. Auch die Vormarkierung ist natürlich nicht sichtbar im gut 30cm tiefen Schnee, oje! Dann das Gefühl, dass etwas in den Schnee fällt. Ein Griff in meine Jackentasche bestätigt es: das Natel fehlt! Ich bücke mich, wische den Schnee zur Seite, kein Natel. Leicht beunruhigt versuche ich mit dem Fuss eine grössere Fläche freizuschaufeln – das Natel bleibt verschwunden. Also laufe ich den Spuren nach zurück zum letzten Posten, zum vorletzten – kein Natel! Wieder zurück beim Dickicht ohne Ecken befällt mich eine Woge von Selbstmitleid und der dringende Impuls, mich telefonisch bei irgendjemandem zu beschweren, aber wie, ohne Natel??
Nun muss ich mich zusammenreissen und konzentrieren. Was ist zu tun? –Möglichst schnell die restlichen Posten setzen und zum Treffpunkt zurück, da Fränzi mich ja nicht mehr erreichen kann. Dies gelingt ziemlich gut, bis auf einen weiteren unsichtbaren Grenzstein an einem kaum sichtbaren Weglein. Ich schaufle alle Erhebungen mit dem Fuss frei, interpretiere sie aber allesamt als Wurzelstücke (was sich im Nachhinein als falsch erweist). Nun habe ich langsam die Nase voll: die Füsse sind kalt, Erschöpfung und Hunger machen sich bemerkbar, 2 Posten sind nicht gesetzt und das Natel ist weg. Was tun, wenn Fränzi nicht am Treffpunkt ist, ich niemanden mehr erreichen kann? Das aufkommende mulmige Gefühl weicht einer Riesenerleichterung, als ich am Treffpunkt Fränzi sehe, welche gefrorene Füsse hat und so schnell wie möglich zurück muss. Bald schon treffen wir Christoph, welcher sogleich mit einem SMS Toni unsere Ankunft auf dem Parkplatz ankündet. Die Antwort kommt prompt: „Ok, ich bin der Eisblock im Auto!“
Im nächsten warmen Café dann kurze Lagebesprechung: Christoph muss nochmals ins Gelände, unsere nicht gesetzten und unsicheren Posten überprüfen, obwohl es schon eindunkelt.
Am Abend macht sich Krisenstimmung breit: die Läufer werden bestimmt über die irregulären Verhältnisse schimpfen, anstatt die nach unserer Meinung ausgezeichneten Bahnen zu loben...!
Nach einer kurzen Nacht besammeln wir uns in der Morgendämmerung wieder auf dem Parkplatz und verteilen diesmal Postenflaggen und SI-Einheiten. Kurz darauf stapfen Fränzi und ich schweigend durch den kalten Schnee und versuchen, ganz wach zu werden. Da meint sie plötzlich: „Heute werde ich Koni eine Quizfrage stellen: wie lang schätzt er die Distanz zwischen meiner Ferse und meinem Knie?“ Ich weiss es: „15cm“! Wir lachen und der Tag ist lanciert. Die Postenstandorte sind heute einfach zu finden: es gilt nur den Spuren zu folgen, welche am Vortag von Toni souverän gelegt wurden!
Der Lauf klappt reibungslos. Kurz nach Beginn spazieren Christoph und
ich durchs Felsenheim und beobachten die Läufer: OL aus einer ganz
anderen Perspektive! Christoph kann sich einige Kommentare nicht
verkneifen: „Ob der weiss, wo er hin muss, bei diesem Tempo? Dort steht
doch kein Posten, oder? Hat die nicht eben noch gesagt, sie sei
ehrgeizig?“...
Zum Glück bekommen wir dann viele positive Rückmeldungen von den
Läufern, was uns natürlich sehr freut. Und schon bald ist der letzte
Läufer im Ziel und es gilt, die Posten einzuziehen. Dies erweist sich
als „Pièce de résistance“. Ich bin so müde, dass ich mich kaum mehr
konzentrieren kann und alle 20m auf die Karte schauen muss. Ich laufe
30m vom Weg weg zum Posten und finde den Rückweg nicht mehr...
Erstaunlich, wie stark sich die Müdigkeit auf die OL-Technik auswirkt!
Beim Reinigen der Posten und sortieren und einräumen des übrigen
Materials ist es nur noch ein Funktionieren. So vermögen auch die
fehlenden 8 Posten, welche wir schlicht im Wald vergessen haben und noch
holen müssen, bei uns keine nennenswerte emotionale Reaktion mehr
auszulösen. Glücklich sind wir trotzdem, als wir uns endlich zu den
anderen am Helferessen gesellen können.
Zurück in Münchenstein erwarten uns Lore und Andreas Plattner, welche Charlotte gehütet haben, mit dem Bericht: „aus Charlotte wird einmal keine Marathonläuferin, sondern eine OL-Läuferin“. Sie sei in der Grün80 immer wieder vom Weg abgebogen und juchzend quer durchs Gelände gerannt. Ihre Schuhe sind beinahe so schmutzig wie unsere. Man kann es ihr nicht verübeln bei solchen Eltern...!
Manon BaaderCopyright © OLG Basel, 2011 − 2022